Glacisgeschichte - Glacisschützer

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Glacisgeschichte

Promenieren im Grünen und Wohnen in Villen
1878 geht Festung ins Eigentum der Stadt Minden über


Von Dr. Monika M. Schulte

Am 31. Oktober 1878, vor 125 Jahren, gingen nach der bereits im Herbst 1873 erfolgten Aufhebung der Festung die Grundstücke auf diesem Terrain ins Eigentum der Stadt Minden über: Bis heute prägen das Glacis und die Villen am Glacis das Stadtbild.

Nach dem Krieg von 1870/71 war den Militärstrategen klar, dass das bisherige Festungssystem modernen Ansprüchen an die Technik der Kriegsführung nicht mehr genügte. Am 30. Mai 1873 wurde daher vom Reichstag in Berlin das Gesetz zur Aufhebung der Festungen Minden, Stettin, Erfurt, Wittenberg, Kosel, Graudenz, Kolberg und Stralsund verabschiedet. Die Verteidigung des Deutschen Reiches sollte künftig von anderen, größeren Stützpunkten aus geleistet werden.

Die Verhandlungen zwischen dem Königlichen Domänenfiskus, vertreten durch die Königliche Regierung Minden, und dem Magistrat der Stadt Minden über die Zukunft der Festung aber zogen sich in die Länge. So ist den Verwaltungs-berichten der Stadt Minden der Jahre 1873 bis 1878 immer wieder die Klage zu entnehmen, dass das "Uebergangsstadium" von der Festungsstadt zur offenen Stadt "mit all' den Unzuträglichkeiten und Unbequemlichkeiten", die daraus resultieren, noch immer nicht überwunden sei. Doch seien das "kleine Uebelstände gegenüber den früheren Verhältnissen, unter denen die Stadt, auf das Engste in Festungswerke eingezwängt, leben und sich bewegen mußte."

Im Herbst 1878 war es dann nach einem langwierigen Verhandlungsmarathon zwischen Berlin und Minden endlich so weit: Am 24. September unterzeichneten die Königliche Regierung Minden und der Magistrat der Stadt Minden den Vertrag über den Kauf des durch die Entfestigung frei werdenden Terrains: Für 177.600 Mark und 36 Pfennige - zu zahlen in fünf Jahresraten - kaufte die Stadt Minden die Grundstücke in einem Umfang von 73 Hektar.

Die Schleifung der Festung, die Einebnung des Geländes und die Erschließung des Gebietes musste die Stadt auf eigene Kosten durchführen. Wenige Tage später, am 28. September, unterzeichneten der Garnisonkom-mandeur im Namen des Reichsmilitärfiskus und der Magistrat der Stadt Minden einen weiteren Vertrag, und zwar über die im Zuge der Festungsaufhebung notwendig werdende Verlegung der militärischen "Etablissements". Kostenpunkt: 118.700 Mark.

Nach anfänglicher Euphorie über den neuen Status als offene Stadt ging die seitens der Stadt erhoffte Bebauung des teuer erstandenen Geländes nur zögerlich voran. Gelder aus dem Verkauf von Baugrundstücken sprudelten - anders als erhofft - nicht so schnell in die Stadtkasse.

Durch Reichsgesetz vom 30. Mai 1873 waren bereits die Rayonbestimmungen zum 1. Oktober 1873 aufgehoben worden. So konnten in unmittelbarer Nähe vor den Festungsanlagen, die bis dahin aus militärischen Gründen unbebaut bleiben mussten, Villen und Fabriken entstehen. Die Stadttore wurden niedergelegt und Breschen in die Mauern und Wälle der Fortifikation geschlagen, um die Stadt zum Umland hin zu öffnen.

Die Neugestaltung des Glacis ermöglichte zahlreichen, vermögenden Bürgern, Unternehmern und Magistratsmitgliedern das Wohnen im Grünen. Im Glacis entstanden zahlreiche repräsentative Gründerzeit- und Jugendstilvillen mit großzügigen Grundrissen - ganz im Gegensatz zu den meisten Häusern der Altstadt.
Im Simeonglacis, im Königsglacis, im Marienglacis und im Fischerglacis, die den Wegen am Fuß der Festungswälle folgen und nur einseitig mit Blick ins parkähnlich umgestaltete Glacis bebaut werden, wird nach der Festungsaufhebung 1873 zügig mit der Bebauung begonnen.

Nur das Weserglacis macht davon eine Ausnahme. Nahe der Weser im von Überschwemmungen gefährdeten Gebiet zögert man mit der Bebauung; sie erfolgte dann im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit dem Bau der Regierung, des Kreishauses und der Weserklause. Eine stürmische Aneignung des hinzugewonnenen Stadt- und Baugebiets durch die Bürgerschaft blieb aus. Schließlich wurde nur noch zögerlich gebaut.

An die Übernahme des Geländes zum 31. Oktober 1878 war die Bedingung geknüpft, einen Teil der Festung, zehn Hektar, als "landschaftliche Anlage" zu erhalten. Um die Begrünung der Festung kümmerte sich aber nicht die Stadt, sondern der Verschönerungsverein, indem er Promenaden anlegte und Bäume anpflanzte. Vom 20. Dezember 1878 datiert der Vertrag mit der Stadt, der den Verein zur Umgestaltung der Glacisanlagen in Parkanlagen verpflichtete. Die Mitgliederzahl des Verschönerungsvereins stieg sprunghaft an: Ein Zeichen hohen bürgerschaftlichen Engagements.

So besitzt Minden heute ein einzigartiges Stadtbild mit der spätmittelalterlichen, stellenweise durch Kriegseinwirkungen und Sanierungsmaßnahmen gestörten Altstadt, dem grünen Glacisgürtel und einem zwar nicht durchgängig, aber gut erhaltenen Kranz aus bürgerlichen Wohnbauten der Gründerzeit und des Jugendstils: Unter dem Aspekt von Stadtmarketing ein Alleinstellungsmerkmal und Vermarktungskriterium par excellence.

Partie am Schwanenteich im Weserglacis mit Kreishaus und Weserklause um 1910 (Kommunalarchiv Minden, Bildsammlung, A I 301).

Partie am Schwanenteich im Weserglacis mit Kreishaus und Weserklause um 1910 (Kommunalarchiv Minden, Bildsammlung, A I 301).

 
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